Steuerung durch Kennzahlen – keine Frage der Reife

Steuerung und Kennzahlen

Die Steuerung eines Unternehmens benötigt Ziele und passende Kennzahlen. Trotzdem gibt es immer wieder Zweifel, ob die Reife der Organisation ausreicht, bestimmte Kennzahlen und Kennzahlensysteme einzusetzen. Dies wirft die interessante Frage auf, welchen Reifegrad ein Unternehmen haben muss, damit der Einsatz von Kennzahlen sinnvoll und wirksam ist. Und wie immer bei solchen Überlegungen erzeugt eine Fragestellung sofort die nächste. Was ist denn überhaupt Reife? Wie misst man den Reifegrad? Wie lässt sich die Sinnhaftigkeit von Kennzahlen bestimmen? Wann ist eine Kennzahl wirksam und wie bestimmt man ihren Mehrwert?

Reife und Reifegrade

Allgemein und akademisch ist die Reife die Vollendung eines körperlichen oder geistigen Wachstumsprozesses. Damit ist auf der einen Seite ein gewisser Erfahrungsschatz verbunden und auf der anderen Seite ein angemessener Umgang mit dieser Erfahrung in Bezug auf bekannte und vor allem neue Situationen.

Da die Reife nichts Absolutes ist, versucht man, sie in Reifegrade zu unterteilen. In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl an Reifegradmodellen entwickelt. Nahezu jedes Beratungsunternehmen und auch viele andere Unternehmen haben ihre eigene Adaption für ein solches Modell und seine Anwendung entwickelt.

In der Regel beziehen sich die verwendeten Reifegrade auf die Qualität von Prozessen. Wichtige Vertreter sind hier Capability Maturity Model Integration (CMMI) oder auch SPICE (Software Process Improvement and Capability Determination oder ISO/IEC 15504). Mit Hilfe dieser Modelle wird erfasst, inwieweit Prozesse definiert sind und in welchen Umfang diese Prozesse angewandt werden. Fast alle diese Modelle unterscheiden Reifegrade in fünf Stufen. In der höchsten Reifegradstufe werden die Prozesse nicht nur gelebt, sondern sind auch selbstoptimierend.

 

Prozessreifegrade

 

Ein anderes Modell der Reifegrade kommt aus der Führungslehre. In ihrem Modell von 1977 haben Paul Hersey und Ken Blanchard den Reifegrad über eine Kombination von Motivation (psychologischer Reife) und Fähigkeit (Arbeitsreife) bestimmt. Hier wird der höchste Grad erreicht, wenn der Mitarbeiter sowohl fähig als auch willig ist. Gerade bei der Definition von Zielvereinbarungen (MbO, Management by Objective) spielt diese Art der Einteilung eine große Rolle. Ist der Mitarbeiter nämlich schon motiviert, so braucht es nicht zusätzliche Anreize, die eine weitere Motivation darstellen.

In diesem Beitrag soll die im Prozessmanagement übliche Reifegraddefinition verwendet werden.

Reife und Kennzahlen

Zur Erinnerung die einzelnen Reifegrade und ihre Bedeutung:

  • Reifegrad 5: Optimised
    Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess existiert und wird angewendet
  • Reifegrad 4: Managed
    Es existieren spezielle Kennzahlen, mit denen die Performance und die Qualität gesteuert werden
  • Reifegrad 3: Defined
    Der Prozess ist definiert
  • Reifegrad 2: Repeatable
    Die Durchführung von Aktivitäten folgt einem minimalen Standard und liefert eine gewisse Planbarkeit und Ergebnisqualität
  • Reifegrad 1: Initial
    In der Regel kein Prozessmanagement

Stufe 5 hat demnach also schon ein vollständiges System mit kontinuierlicher Verbesserung, also der Nachverfolgung von Abweichungen etabliert. Das dazu notwendige Kenngrößensystem wurde in der Stufe 4 definiert. Stufe 3 legt den Prozess mit seinen wichtigsten Inhalten fest (Aktivitätsabfolge, Input, Output, Rollen und Ressourcen). Automatisch sind damit auch einfache Basisgrößen zur Performanz und Qualitätssteuerung bestimmt. Ein Unternehmen in der Reifestufe 2 kennt zumindest einige standardisierte Arbeitsabläufe, die in ihrer Art und in ihrem Umfang gut erfassbar sind. Aber selbst Unternehmen in der Stufe 1, in der noch kein Prozessmanagement existiert, müssen die zu erwartende Ergebnisqualität kennen und, im Sinne des Kunden, auch erfassen.

Dementsprechend werden in jeder Stufe Kennzahlen benötigt. Über die Stufen hinweg verändern sich jedoch die Einsatzmöglichkeiten. Geht es am Anfang noch um Einzelqualitäten und –aufwände für die zu produzierenden Ergebnisse so werden in den höheren Stufen eher die eingesetzten Produktionsmittel und –mechanismen überwacht und optimiert.

Die Frage, welche Reife notwendig ist, um mit Kennzahlen zu arbeiten, ist leicht ableitbar. Jede Stufe hat ihre eigenen und es gibt keine Untergrenze, ab der mit Kennzahlen gearbeitet werden kann. Alleine die Überlegung, welcher Reifegrad notwendig ist, stellt ja schon eine Beschäftigung mit Kennzahlen dar.

Allerdings kann es sein, dass grundlegende Voraussetzungen fehlen, um sich mit bestimmten Kenngrößen auseinanderzusetzen. Diese können in den Kenntnissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter liegen, da diese häufig ungeübt im Umgang mit Kennzahlen sind. Dies kann auch darin begründet sein, dass bestimmte Basiszahlen fehlen oder es zu teuer ist, diese Größen zu erheben. Hierfür ist unter Umständen auch eine Anpassung der Arbeitsweise und der Prozesse notwendig. Und nicht zuletzt können technologische Voraussetzungen fehlen, um die konkreten Kennzahlen zu verwalten.

Trotzdem kann und muss unabhängig von der Reife einer Organisation jede Kennzahl und jedes Kennzahlensystem in Betracht gezogen werden. Wichtig ist dann nur, den Mehrwert zu bestimmen, der sich aus der Steuerung mit Hilfe dieser Zahlen ergibt und welche Aufwände und Kosten bei der Einführung entstehen. Ist die Abwägung positiv, dann sollte man sich auf den Weg machen, die Kennzahl einzuführen. Bei einem negativen Ergebnis gilt es, grundsätzlich den Einsatz von Kennzahlen attraktiver zu machen. Hier kann sicher ein richtiges Modell oder auch eine passende Technologie zum Einsatz kommen.

Wie sich die Wirtschaftlichkeit von Kennzahlen bestimmen lässt und welche Mittel zur Reduktion der Einsatzschwelle führen, wird in einem der nächsten Beiträge dargestellt.

Prozessoptimierung: Ein Ziel braucht der Weg

Verbesserung durch Prozessoptimierung?

Prozesse werden zur effizienten Erledigung wiederkehrender Tätigkeiten eingesetzt. Gerade bei der Erbringung von Serviceleistungen spielen sie eine große Rolle. Hier sind die Service Management Prozesse nach ITIL ja in aller Munde. Aber auch im Vertrieb, im Kunden- und Lieferantenmanagement oder auch bei Finanzthemen finden Prozesse eine sinnvolle Anwendung. Und selbst Bereiche, die sich als sehr projektlastig bezeichnen, können von der strukturierten Wiederholung gleichartiger Aufgaben profitieren. Es ist aus diesem Grund auch naheliegend, dass Prozesse auch Gegenstand einer ganzen Reihe an Optimierungsmaßnahmen sind. Der Begriff Prozessoptimierung ist aber bei den wenigsten positiv belegt. Dies ist sehr erstaunlich, da ja Berater und Führungskräfte fast schon gebetsmühlenartig eine entsprechende Verbesserung fordern. Dann müsste es doch auch gute Beispiele geben. Die gibt es auch! Aber warum haben wir trotzdem ein so schlechtes Bild von der Prozessoptimierung?

Kein Weg ohne Ziele

Wie alle Optimierungen hakt auch die Prozessverbesserung an ungenügend definierten Zielen. Allzu häufig ist handelnden Personen völlig unklar, was das konkrete Optimierungsziel sein soll. Allgemein hört man hier die Begriffe schneller, besser und günstiger. Das ist in sich erst mal nicht ganz falsch, erreicht aber nicht die Genauigkeit und Tiefe, die bei Zielen von Nöten sind. Es sei hier nicht auf dem SMART-Begriff herumgeritten (dazu gibt es im Netz vielfältige Darstellungen und Erklärungen), vielmehr soll diskutiert werden, wie vor dem konkreten Prozesshintergrund ein solches Ziel oder vielleicht besser Zielsystem aussieht. Interessanterweise lassen sich solche Ziele direkt aus einem abstrakten Prozessmodell ableiten und sind somit unabhängig von der konkreten Prozessausgestaltung.

Zielgrößen

Ein Prozess – als kurze Erinnerung – ist eine Folge von Aktivitäten mit definiertem Input und Output.

Prozesse

 

Aus dem Prozess heraus können damit nur das Ergebnis und die Ergebnisqualität, die Durchlaufzeit und der Ressourceneinsatz pro Durchlauf beeinflusst werden. Somit stehen auch die möglichen Zielgrößen für eine Prozessoptimierung fest:

  • Reduktion des Ressourceneinsatzes
  • Erhöhung der Ergebnisqualität
  • Verringerung der Durchlaufzeit

Gerne wird bei der Kostenoptimierung auch die Reduktion der Anzahl an Prozessdurchläufen genannt. Dies ist jedoch aus Sicht des Prozesses gar nicht steuerbar. Nimmt man einen Produktionsprozess in der Automobilindustrie, so kann auch nicht aus der Fertigung heraus die Anzahl der zu erstellenden Türen einfach reduziert werden. Diese ergibt sich aus Art und Anzahl der bestellten Autos. Auch bei nicht produktiven Prozessen kann der Prozess selbst die Menge nicht anpassen. Nehmen wir einen klassischen Störungsbearbeitungsprozess, so sind die Incidents nun mal abzuarbeiten. Für mehr Robustheit und weniger Fehler muss an anderer Stelle gesorgt werden. Gerne verliert man bei der Optimierung genau diesen Fokus, so dass zwar Ideen entwickelt werden, aber die Kompetenzen nicht mehr ausreichen, die Umsetzung voran zu treiben.

Genauso verhält es sich mit der Ergebnisqualität. Ein – zugegeben abgedroschener – Spruch aus dem Qualitätsmanagement sagt: „Es gibt nur eine Qualität: die geforderte!“. Die geforderte Qualität wird aber nicht vom Prozess selbst determiniert, sondern vom Folgeprozess oder vom übergreifenden System vorgegeben. Damit kann im Rahmen einer Optimierung auch nur der Anteil der Prozessdurchläufe, die das geforderte Niveau weder über- noch unterschritten ist, maximiert werden (das ist der Kernansatz bei SixSigma).

Ceteris Paribus

Eine weitere Herausforderung bei der Optimierung ist es, der Neigung, alles gleichzeitig erreichen zu wollen, nicht nachzugeben. Man ist immer allzu leicht gewillt, das Beste für die niedrigsten Kosten haben zu wollen. Zwei oder gar mehr unabhängige Größen sind aber nicht gleichzeitig erreichbar.

Hier holt den Optimierenden häufig ein Defizit ein, das gar nicht so sehr ihr oder ihm zuzusprechen ist: Fehlende Anforderungen aus den Um- und Folgesystemen. Damit wird gerade in den Bereichen Ergebnisqualität und Durchlaufzeit im „Best Effort“ Stil gearbeitet. Fehlende Kenngrößen stellen dann noch nicht mal einen empirisch ermittelten Absprungpunkt dar. Gerne findet man solche Situationen bei hausinternen Dienstleistern, die nach besten Wissen und Gewissen ihre Services erbringen. In diesen Fällen scheuen sich häufig sowohl Erbringer als auch Abnehmer, nachhaltig ein Leistungsniveau, etwa Bereitstellungszeit für einen Server oder die Lösungszeit für eine Störung, festzulegen. Dies hat dann auch konsequenterweise zur Folge, dass keine der relevanten Kenngrößen erfasst wird. Damit befindet sich die Optimierung im Hinblick auf die Ziele, die Rahmenbedingungen und die Auswirkungen von Veränderungen freischwebend im Raum.

Optimieren, aber richtig

Damit sind alle Punkte genannt, die bei einer erfolgreichen Prozessoptimierung berücksichtigt werden müssen. So verschwindet der Tinnitus:

  1. Auf den Handlungsrahmen (Prozess) fokussieren
  2. Konkrete Ziele benennen
  3. Messgrößen festlegen und initial bestimmen
  4. Maßnahmen festlegen und Umsetzen
  5. Stetige Kontrolle und Nachjustierung

 

Dieser Betrag soll nochmal dabei helfen, den Rahmen für eine Optimierung aufzuspannen. In den nächsten Beiträgen werden einige konkrete Zielgrößen aus den Prozessen genannt und genauer beschrieben.